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Von nachdenklich bis parodistisch: Die Premieren zum Spielzeitbeginn

Ein Jonathan-Larson-Doppel im Ruhrgebiet, eine Frankenstein-Parodie und ein Operettenklassiker standen zum Saisonstart auf den Programmen - hier ist eine Presseschau.

FRANKENSTEIN JUNIOR in Bonn (Foto: Theater/Emma Szabó)

TICK, TICK... BOOM! in Gelsenkirchen (Foto: Musiktheater im Revier)

RENT in Dortmund (Foto: Theater/Thomas M. Hauk)

Auch knapp dreißig Jahre nach seinem Tod erfreut sich der amerikanische Musicalkomponist, -texter und -librettist Jonathan Larson (1960–1996) im deutschsprachigen Raum größter Beliebtheit, wie sich aktuell eindrucksvoll an den zahlreichen Produktionen seiner Werke zeigt – Mario Stork spricht in musicals gar augenzwinkernd von den „Jonathan-Larson-Festspielen im Ruhrgebiet“. Erfreulich und angesichts der sehr erfolgreichen Netflix-Verfilmung aus dem Jahr 2021 aber auch mehr als nachvollziehbar, haben diese Spielzeit gleich drei deutschsprachige Bühnen Larsons seltener produziertes autobiografisches Musical TICK, TICK… BOOM! auf den Spielplan gesetzt.

Im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen und im Theater am Hechtplatz in Zürich kann man dieses „starke Stück, das viel zu selten gespielt wird“, wie Rudolf Hermes in Der Opernfreund schreibt, bereits bewundern. Zur Musik erklärt Hermes: „Das Stück enthält eine ganze Reihe starker Songs und Ohrwürmer“, die von „rockigen Powersongs, über sensible Balladen bis zu emotionalen Hymnen“ reichen.

„Schon der Opener ‚30/90‘ legt ein Tempo und eine Wucht vor, dem sich das Publikum nicht entziehen kann“, ist bei Ingo Göllner auf musicalzentrale.de zu lesen. Auch für das Stück als Ganzes findet Göllner nur lobende Worte: „Larsons posthum uraufgeführtes Musical, in dem er eigene Erfahrungen verarbeitete, ist ein Blick in eine Künstlerseele.“ TICK, TICK… BOOM! transportiere dabei insbesondere viel Lebensgefühl der Neunziger und erzähle gleichzeitig „eine immer aktuelle Geschichte über Menschen, die sich irgendwann entscheiden müssen, in welche Richtung ihr Leben gehen soll. Das Musical zeigt auch, welch großes Talent Jonathan Larson war, was für abwechslungsreiche, ausgefeilte und witzige Songs er schreiben konnte.“

Stefan Busz schreibt im Tages-Anzeiger: „Dieses Musical ist grandios. Und feinfühlig. Auch sehr ehrlich.“ Mario Stork betont in musicals die Aktualität des Stücks, wenn er dessen inhaltlichen Kern mit „Leben(sentwürfe) im Umbruch, alles ist in Bewegung, die Zukunft ungewiss – das könnte auch 2023 spielen“ umschreibt. Dominik Lapp hebt auf kulturfeder.de schließlich neben dem „knackig-treibenden Rocksound“ die gelungene Übersetzung hervor: „Exzellent sind die neuen deutschen Texte von Timothy Roller“. Lapps Fazit: „Ein Juwel des Musicalgenres – brillant und zeitlos“.

Passend hierzu hatte Larsons unbestrittenes Meisterwerk RENT am Theater Dortmund in einer großen Neuproduktion Premiere, wobei man als besonderes Extra in Dortmund die Möglichkeit hat, das Stück in einer Doppelvorstellung mit Puccinis "La Bohème" zu sehen, auf dem das Musical bekanntlich basiert. Sandra Heick spricht im Coolibri-Magazin von einem „Werk, das unter die Haut geht“. „Larson legt einen großen Fokus auf die sozialen Missstände zur Entstehungszeit des Stückes“, heißt es bei Markus Lamers in Der Opernfreund. „Ökonomische Ungleichheit, zunehmende Armut, Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und die erste große AIDS-Welle sind genauso Thema wie die damals noch sehr weit verbreitete Homophobie.

Inspiriert durch tatsächliche Begebenheiten bei Freunden und Personen aus seinem näheren Umfeld, paarte Larson diese Geschichten mit eindringlicher Rockmusik und gefühlvollen Balladen zu diesem ganz besonderen Musical.“ Lamers lobt zudem die deutsche Fassung: „Aufgeführt wird in Dortmund die deutsche Übersetzung von Wolfgang Adenberg, die sehr gelungen ist und neben den Sprechtexten auch die Songs in deutscher Sprache erklingen lässt.“ „Musikalisch verbindet Larson in RENT seine Liebe zur Rockmusik und zum Broadway und wollte dem amerikanischen Musiktheater damit ein neues Gesicht geben“, schreibt Thomas Molke im Online Musik Magazin.

Mit Mel Brooks’ FRANKENSTEIN JUNIOR feierte am 20. August ein inhaltlich wie stilistisch gänzlich anderes Musical im Theater Bonn Premiere. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1974, der laut Ingo Göllner von musicalzentrale.de „gleichzeitig Hommage an und Parodie auf die klassischen Frankenstein-Filme, die ab 1931 in den Universal Studios entstanden, ist“. Wie bei Brooks nicht anders zu erwarten, ist es gerade der Humor, der auch in der Musicalfassung des Films heraussticht. „Die Gags explodierten Schlag auf Schlag und ließen kein Fettnäpfchen aus“, schreibt Ursula Hartlapp-Lindemeyerim Opernmagazin, wobei der Film (wie das Musical) „mit seinem respektlosen Witz genau in die Zeit der sexuellen Befreiung“ passe. Auch Aylin Otte stellt auf bonnFM fest: „Am meisten lebt die Horrorkomödie von ihrem Humor. Vor allem die Situationskomik funktioniert in vielen Momenten.“ „Viele Gags und eine schmissige Musik“ ist bei Stefan Keim vom WDR zu lesen.

Besonders das Libretto erhält in den Rezensionen breites Lob. So heißt es bei Hartlapp-Lindemeyer weiter: „Der Spannungsbogen im ersten Akt ist einfach nur genial. […] Der zweite Akt ist etwas kleinteiliger, aber auch hier war jede einzelne Szene aufgrund der Situationskomik ein Knaller.“ Doch nicht nur das Libretto, sondern auch die Musik sind von Humor durchzogen, wie Ingo Göllner auf musicalzentrale.de anmerkt: „Akustische Gags gibt es auch in der Orchestrierung von Doug Besterman und Mark Cumberland. Hier werden Songs nicht einfach nur begleitet. Musikalische Einwürfe setzen auf einen Gag gern nochmal einen drauf und verhelfen den Worten erst zu einem Lacher.“ Zur Musik heißt es beim WDR: „Es gibt eine Menge Ohrwürmer. Die bekannteste Nummer ist ‚Puttin on the Ritz‘, die Frankenstein Junior und sein Monster zusammen singen und tanzen – mit einer grandiosen Steppeinlage.“

Auch im Operettenbereich gibt es aktuell mit DIE BLUME VON HAWAII eine spannende Premiere: Obwohl Paul Abrahams 1931 uraufgeführtes Werk schon kurz nach seiner Erstproduktion von den Spielplänen verschwinden musste und auch im Nachkriegsdeutschland eher zögerlich den Weg zurück auf die Bühne fand, wird die Operette heute oft und gerne an deutschen Theatern inszeniert. Joachim Lange schreibt in diesem Zusammenhang auf Die deutsche Bühne: „Eine Abraham-Operette ist heute immer noch Wiedergutmachung und braucht einen gewissen Ausgrabungsehrgeiz.“ Das Besondere dieses Stückes ist dabei die subversive Doppelbödigkeit, wie es auch auf MDR.de heißt: „Schon damals, 1931, war das alles [gemeint ist der Inhalt der Operette] ironisch gebrochen, quasi LAND DES LÄCHELNS durch die erbarmungslose Brille des Kabaretts und der Revue gesehen – vor Kitsch muss man sich hier kaum fürchten“.

Die Musik finde „eine gute Balance zwischen großer Operngeste und kesser Jazzfrechheit“. Auch Roberto Becker spricht in seiner Rezension auf Concerti von „gassenhauertauglichen Hits“ und einer „mitreißend kurzweiligen Show“. Seinem Fazit – „Die BLUME VON HAWAII ist ein überzeugender Beleg dafür, dass es mehr Exemplare der Gattung Operette gibt, als FLEDERMAUS oder GRÄFIN MARIZA, die musikalisch durchweg zünden und hochkarätige Unterhaltung mit Hintersinn verbinden“ – kann man sich vorbehaltlos anschließen.


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