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"Es ist schön, viele Menschen zu erreichen"

Seit 2024 gibt es eine neue Übersetzung von JESUS CHRIST SUPERSTAR. Timothy Roller erzählt von seiner Arbeit daran und vom Übersetzen im Allgemeinen.

Timothy Roller (Foto: Hagen Schnauss)

JESUS CHRIST SUPERSTAR bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel (Foto: Festspiele/Florian Miedl)

Seit seiner ersten Publikation als Doppelalbum 1970, also vor mehr als fünfzig Jahren, begeistert JESUS CHRIST SUPERSTAR immer wieder aufs Neue das Publikum. Laut Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins sahen es in der Spielzeit 2022/23 mehr als 64.000 Personen im deutschsprachigen Gebiet. Seit letztem Jahr liegt bei Musik und Bühne eine neue Übersetzung von JESUS CHRIST SUPERSTAR vor, die Timothy Roller angefertigt hat. Im Gespräch gibt Roller, von dem auch die deutschen Fassungen von Jonathan Larsons TICK, TICK... BOOM!, Stephen Sondheims DIE FRÖSCHE, Andrew Lloyd Webbers SCHOOL OF ROCK sowie Pasek und Pauls EDGES stammen, einen Einblick in das Handwerk eines Musical-Übersetzers. Die Fragen stellte Patrick Mertens.

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Herr Roller, wie sind Sie zu dem Auftrag gekommen, JESUS CHRIST SUPERSTAR neu zu übersetzen?

Zum Auftrag gekommen bin ich über Jürgen Hartmann (Dramaturg und Lektor bei Musik und Bühne), der mich angeschrieben hat, dass eine Auswahl von Übersetzern Material zum Stück JESUS CHRIST SUPERSTAR für eine Neuübersetzung bekommen soll. Wir sollten drei Songs übersetzen, die dann anonymisiert und mit einem Punktesystem bewertet wurden. Und meine Übersetzung dieser drei Songs hat am Ende anscheinend die meisten Leute angesprochen und ich habe tatsächlich den Auftrag erhalten.

Welche Herausforderungen bringt die Übersetzung eines Werks wie JESUS CHRIST SUPERSTAR mit sich?

Ein riesiger Punkt ist, dass dieses Musical bereits so etabliert ist. Ich war mir von Anfang an bewusst, dass das ein großes Stück ist und dass man dem auch gerecht werden muss. Entsprechend habe ich mir viel Zeit genommen und mir auch noch einmal die vier Evangelien in der Bibel komplett durchgelesen, um genau zu prüfen, welche Situationen aus der Bibel verwertet wurden. Dadurch konnte ich mir selbst bewusstmachen, an welchen Stellen der Text des Musicals bibeltreu ist und wo er eher freier ist. Die Arbeit an JESUS CHRIST SUPERSTAR war entsprechend deutlich intensiver als bei anderen Stücken.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Originaltexter Tim Rice? Hat er Einfluss auf die Übersetzung genommen? Oder bei der Arbeit gar unterstützt?

Es gibt einen Online-Workshop von Tim Rice, in dem er über seine Herangehensweise beim Schreiben von Musicaltexten spricht, den ich mir angesehen habe. Er redet hier zwar viel über EVITA, aber auch über JESUS CHRIST SUPERSTAR und betont, wie wichtig es ihm ist, dass in seinen Liedtexten reine Reime verwendet werden. Als Beispiel führt er an, dass er es ganz schlimm findet, wenn man etwa das Wort „girl“ auf „world“ reimt, was in der Popmusik ziemlich oft vorkommt. Heutzutage ist der Sprachfluss so, dass man gerne auch kleine Ungereimtheiten reimend macht, und entsprechend war das ein wichtiger Hinweis, damit ich als Übersetzer weiß, dass dem Originaltexter exakte Reime sehr wichtig sind.

Ich habe zudem versucht, eine inhaltliche Änderung zu berücksichtigen, die in „Gethsemane“, einem der wichtigsten Songs des Stücks, vorgenommen wurde. Es gibt hier eine Zeile, die im Original „God, Thy will is hard / But you hold every card“ heißt. Für eine Produktion im Jahr 2012 wurde diese jedoch zu „God, Thy will be done / Destroy your only Son“ geändert. Jesus bekennt sich hier als Gottes Sohn. Das gab es in früheren Fassungen nicht und das stellt einen massiven Eingriff in das Stück dar. Zuvor hat Jesus nie benannt, dass er Gottes Sohn ist, sondern das war etwas, dass von außen über ihn drübergestülpt wurde, – und nun bekennt er sich selbst als Gottes Sohn. Zu dieser Zeile habe ich Tim Rice dann auch eine Notiz in meine Rückübersetzung, die man ja immer einschicken muss, gesetzt.

Das heißt, es musste eine Rückübersetzung der deutschen Fassung ins Englische erstellt werden, die dann auch kontrolliert wurde?

Genau. Bei fast allen Stücken, die ich bisher übersetzt habe, war das notwendig. Der Sinn dahinter ist, dass man, ohne an eine Silbenanzahl oder einen Rhythmus gebunden zu sein, einmal eine ganz genaue Übersetzung der deutschen Fassung schickt, damit die Autoren erkennen können, ob der Übersetzer Kompromisse gemacht hat oder bestimmte Bilder verändert hat. Manchmal muss man bei einer Übersetzung ja auch inhaltlich Sachen leicht anders erzählen, weil der Satz sonst im Deutschen nicht ganz funktioniert, und dann ist natürlich die Frage, ob der Autor das so absegnet oder ein Veto einlegt. Bei SCHOOL OF ROCK, das ich ebenfalls übersetzt habe, gab es zum Beispiel eine Zeile, bei der die Originalautoren nach Lesen der Rückübersetzung gesagt haben: „Wir verstehen, wie Du darauf kommst, aber durch diese Übersetzung wirkt das Mädchen, das die Zeile sagt, leicht genervt, aber eigentlich wollen wir, dass sie in diesem Moment schüchtern wirkt.“ Die Originalautoren haben durch Rückübersetzungen also die Möglichkeit, Sachen zu korrigieren, selbst wenn sie nicht der Sprache mächtig sind, in die übersetzt wurde.

Jetzt muss man ja als Übersetzer nicht nur eine solche inhaltliche Ebene berücksichtigen, sondern auch noch die gebundene Sprache (insbesondere natürlich die Reime) widerspiegeln und die Singbarkeit der Texte gewährleisten. Wie schafft man diesen Spagat?

Das ist natürlich die große Frage, die sich jeder Musiktheaterübersetzer stellt – und das ist ein ewiger Kampf. Ich habe meine Bachelor- und Masterarbeit über das Übersetzen geschrieben und dadurch festgestellt, dass es sehr wenig Material zu diesem Thema gibt und auch sehr wenige Methoden. Dr. Peter Low aus Neuseeland hat allerdings ein Fünf-Punkte-Prinzip mit den Säulen „Singbarkeit“, „Inhalt“, „Rhythmus“, „Reim“ und „Natürlichkeit“ entwickelt. Dieses Prinzip besagt, dass man bei einer Übersetzung immer im Moment subjektiv entscheiden muss, welches dieser fünf Kriterien für das Stück gerade am wichtigsten ist. Danach agiere ich. Meine Priorität ist jedoch immer, die natürlichste Sprache zu schreiben, die ich hinbekomme. Damit meine ich auch die musikalischen Komponenten, die ein Text von Natur aus mit sich bringt. Ich versuche stets, mich für die Fassung einer Passage zu entscheiden, deren eigene Sprachmelodie – ohne Musik, separat gelesen – am stärksten dem Original entspricht, damit sie sich möglichst reibungslos in die komponierte Musik einbetten lässt. Im Übersetzungswesen gibt es den Spruch: „Die beste Übersetzung wird vom Leser gar nicht als Übersetzung empfunden, sondern wirkt wie ein Originalwerk.“ Das bedeutet natürlich, dass man beispielsweise manche Metaphern, die sich nicht übertragen lassen, fallen lässt und durch gängigere Metaphern ersetzt, die an der entsprechenden Stelle genauso passen würden.

Allgemein ist Subjektivität etwas ganz Zentrales bei Übersetzungen und deswegen gibt es auch nie die eine, objektiv beste Übersetzung. Ich würde auch nie behaupten, dass meine Übersetzungen die allerbesten sind, weil jeder Übersetzer immer etwas anderes schreiben würde. Es gibt da nicht den einen Weg, der richtig ist – und eine Übersetzung wird niemals wie das Original sein. Übersetzungen sind immer ein Kompromiss. Aber wenn man die Prämisse verfolgt, eine möglichst natürliche Sprache zu verwenden, die technischen Elemente (wie Reime) gut zu beachten und dann noch zu schauen, dass man auf einer anspruchsvollen Weise kreativ mit Sprache umgeht, dann ist eine Übersetzung ein wunderbares Mittel, mit dem man mehr Menschen erreichen kann. Es wäre ja schließlich schade, wenn wir nur in Originalsprache spielen könnten und Leute, die der anderen Sprache nicht mächtig sind, nicht erreichen würden. Es ist schöner, viele Menschen zu erreichen als nur eine kleine Elite. Das ist mir besonders wichtig.

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Erstmals wurde Timothy Rollers Übersetzung von JESUS CHRIST SUPERSTAR bei den Luisenburg-Festspielen 2024 aufgeführt. Die nächste Produktion steht im Sommer 2025 bei den Burgfestspielen Jagsthausen an; weitere folgen in der Spielzeit 2025/26.


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