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Roaring Twenties, Fabulous Fifties – und ihre Spiegel in der Gegenwart

Zum Ausklang der Freilufttheatersaison werfen wir einen Blick auf die Rezensionen zu den Sommerpremieren.

WEST SIDE STORY in Schwäbisch Hall (Fotos: Ufuk Arslan)

BALL IM SAVOY in Dresden (Fotos: Staatsoperette/Lutz Michen)

ADAM SCHAF HAT ANGST in Berlin (Fotos: Theater im Palais/Ildiko Bognar)

GRÄFIN MARIZA in Kriebstein (Fotos: Detlev Müller)

WEST SIDE STORY in Kufstein (Fotos: Thomas Böhm)

EVITA in Augsburg (Fotos: Jan-Pieter Fuhr)

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Für Ungeduldige direkt zu den Stückinfos:

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Ein swingendes Kaleidoskop der Goldenen Zwanziger

„Ein Ohrwurm nach dem anderen“, betitelt Michael Ernst seine Kritik zu Paul Abrahams BALL IM SAVOY an der Staatsoperette bei Musik in Dresden. „Die Musik ist fast hundert Jahre alt, wirkt aber mitreißend, spritzig und unterhaltsam“, führt er aus. Das Stück enthalte – wie typisch für Berliner Operetten – viel „Sarkasmus [und] Selbstironie“ und behandle mit „Ehescheidung [sowie] dem Mut und den Rechten einer Frau“ sehr moderne Themen.

„Große Show und flotte Musik“, schreibt Jens Daniel Schubert über die Premiere der Jazzoperette in der Sächsischen Zeitung. Abrahams Musik fasst Schubert als „Stilmix, von dichten, modern durchkomponierten Orchesterpassagen über dramatische, opernhafte Szenen bis zu großen Revuenummern, Foxtrott, Quickstep und Stepptanz, Tango, Paso Doble und Rumba“ zusammen. Die Songs seien „eingängig, süffig in den Melodien und komplex in der Rhythmik“, erklärt Guido Glaner in der Dresdner Morgenpost, während Christian Ruf in den Dresdner Neuesten Nachrichten die Partitur als „swingendes Kaleidoskop der legendären Goldenen Zwanziger“ lobt.

Tiefsinnige Kammermusicals

Im Musicalbereich feierte Georg Kreislers ADAM SCHAF HAT ANGST im Berliner Theater im Palais Premiere. Jürgen Rickert beschreibt das Ein-Mann-Stück bei Musical Today als „messerscharfe Reflexionen über den Zustand der Welt nach 1945“ und als eines von Kreislers „tiefsinnigen und trotzdem vergnüglichen Kammermusicals“. Kreisler mische in seinem Werk „autobiografische Aspekte mit dem generellen Frust über die Nachkriegszeit“. Dabei ecke der Kabarettist und Autor „mit seinen zynischen, zartbitteren Texten immer wieder an“. Die „wunderbaren, intelligenten Chansons […] sorgen für doppelten Boden, illustrieren, kommentieren, schaffen Fallhöhe, um aus dem Musical ein substanzielles Werk zu generieren“.

In der Musicalzentrale schreibt Kai Wulfes: „ADAM SCHAF HAT ANGST reiht kabarettistisch inspirierte Songs über modernes Regietheater, verlogene Kollegen und borniertes Publikum an Provinzbühnen wie Staatstheatern aneinander und scheut sich auch nicht, die braune Vergangenheit, unterdrückte und offene Homosexualität sowie Depressionen zu thematisieren.“

Im Kleinen Theater Bad Godesberg konnte das Publikum das ebenfalls selten gespielte Musical CLOSER THAN EVER aus der Feder von David Shire und Richard Maltby Jr. (BIG) bewundern. Man erlebt, so Rolf-Rüdiger Hamacher in Musical Today, „vier namenlose Freunde, die sich in einer unbekannten Stadt in der Wohnung ihrer frisch geschiedenen Kommilitonin zum 25-jährigen Klassentreffen zusammenfinden“. Die 23 Songs seien eine „Achterbahnfahrt der Gefühle von ausgelassen über gelangweilt, genervt, verträumt bis hin zu wütend und zynisch“, wobei „der musikalische Bogen von romantischen Musicalballaden über Jazz bis hin zu Fandango-Klängen und 70er-Jahre-Discosound“ reiche.

Kálmán-Operetten sorgen für Champagnerlaune

In einer Open-Air-Produktion war Emmerich Kálmáns GRÄFIN MARIZA auf der Seebühne Kriebstein zu sehen. Als „bunt, attraktiv [und] stimmungsvoll“ lobt Jens Daniel Schubert die Operette in der Sächsischen Zeitung. Von einer „magischen Puszta-Party“ spricht Elke Hussel in der Freien Presse. „Kálmán fuhr [in GRÄFIN MARIZA] alles auf, was in der CSÁRDÁSFÜRSTIN so gut funktioniert hatte“, ergänzt sie. „Gutshöfe […], feurige Tänze, starke Frauenfiguren, Männer mit Geheimnissen, Witz und Wehmut. Unter allem liegt ein musikalischer Teppich zwischen Walzer und Csárdás – mit frischen Einschüben beliebter 1920er-Jahre-Tänze wie Foxtrott, Shimmy oder Boston.“

Gleich zwei Häuser – das Nationaltheater Mannheim sowie das Theater Lüneburg – widmeten sich Kálmáns anderem großen Operettenklassiker: DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN. Mit Bezug auf die Mannheimer Produktion lobt Christian Konz im Online Merker die Musik als „glühend-warmherzig“ sowie „geschmeidig und klangschön“, während Nike Luber in der Rhein-Neckar-Zeitung von einem „farbenfrohen Bühnenfest“ spricht. Ähnlich überschwänglich äußert sich Frank Füllgrabe in der LZ bezüglich der Lüneburger Produktion, wenn er die Charakteristika der Operette mit „Champagnerlaune, unglückliche Liebe und süffige Melodien“ zusammenfasst.

Auch DIE ZIRKUSPRINZESSIN, die im Schlossgarten Neustrelitz zu sehen war, stammt vom ungarischen Komponisten Emmerich Kálmán. Kevin Clarke hebt in seiner Rezension auf Klassik.com die „süffig dahingleitende“ Musik hervor, die mit „fetzigen Tanzschlagern in synkopierten Rhythmen“ kombiniert wird. Susanne Schulz erklärt im Nordkurier, dass die Operette „Erstaunliches unter einen Hut bringt: das genre-typische Liebes- und Intrigenspiel mit der Magie der Zirkuswelt, dem Blick in zerrissene Künstlerseelen, ausgelassene Fröhlichkeit mit leisen und ernsten Tönen.“

Fünf Mal WEST SIDE STORY – ein erschreckend aktuelles Musical

In sagenhaften fünf Produktionen feierte der Musicalklassiker WEST SIDE STORY Premiere – vielfach als Open-Air-Inszenierung. In seiner Rezension zur Produktion der Luisenburg-Festspiele bezeichnet Thomas Schramm das Stück bei Musical Today als „Meisterwerk“, das „seit mittlerweile fast 70 Jahren [das Publikum] begeistert“. „Inzwischen gilt WEST SIDE STORY als ein Schlüsselwerk der Musicalgeschichte“, schreibt Markus Gründig anlässlich der Produktion bei den Burgfestspielen Bad Vilbel auf kulturfreak.de. Er lobt die „ausdrucksstarke Musik, die u. a. Elemente des Jazz, der Tanzmusik und der italienischen Oper beinhaltet“. Leonard Bernsteins Score vereine „Ernsthaftigkeit und Realitätsnähe“ in sich und überschreite die „Konventionen des Genres“.

„Erschreckend aktuell“ empfindet Jürgen Rickert die WEST SIDE STORY in seiner Kritik zur Eutiner Produktion für Musical Today. „Kaum ein Stoff fasziniert wie dieser“, führt er aus. „Ein Plot für die Ewigkeit […] – beklemmend, anrührend, atmosphärisch dicht und allgemeingültig umgesetzt.“ Die Balance zwischen „Tragödie und subtilem Humor, Brutalität und dem Flirren verbotener Zuneigung“ sei gut gehalten und Bernsteins „stupende Partitur“ warte mit „klassischen Elementen, knackigem Jazz-Idiom und erotisiertem Mambo“ auf.

Auch Julia Lindenau betont im NDR, dass die Thematik des Musicals „aktueller nicht sein könnte“. Sie erklärt: „Identität und Zugehörigkeit sind wichtig. Die WEST SIDE STORY fragt, warum daraus Hass werden muss. Ein zeitloses Thema: Wie kann in einer Welt voller Vorurteile und Gewalt die Liebe überleben?“ Christoph Doerner sieht das Stück in seiner Rezension der Schwäbisch-Hall-Produktion für kulturfeder.de als „Spiegel einer zerrissenen Gesellschaft“, während Kirsten Benekam anlässlich der Kufsteiner Produktion in Musical Today erklärt, das Stück verhandle „uralte Themen gesellschaftlicher Missstände“.

Zwei weitere Genreklassiker

Mit Andrew Lloyd Webbers und Tim Rices EVITA feierte auf der Augsburger Freilichtbühne am Roten Tor ein weiterer Musicalklassiker Premiere. Birgit Müller-Bardorff beschreibt das Werk in der Augsburger Allgemeinen als „Spiel um Macht – mit aktueller Brisanz“. Kernthema sei, „wie Personen, die bewundert, geliebt und heroisiert werden, zu ihrem Einfluss kommen und wie sie die Verehrung zum eigenen Vorteil (aus)nutzen“. Auch Paul Schäufele betont in der Süddeutschen Zeitung die „Aktualität des Stoffs“, während im Donaukurier die Produktion als „Feuerwerk [mit] Ohrwurm-Garantie und großen Gefühlen“ gelobt wird.

Ebenfalls schon als moderner Klassiker gilt Frank Wildhorns und Leslie Bricusses Musical JEKYLL & HYDE, das jüngst auf der Felsenbühne Staatz gezeigt wurde. Patricia Messmer beschreibt Wildhorns Partitur auf kulturfeder.de als „mal pulsierend, mal tragisch, mal opulent […] – ein musikalisches Rückgrat, das trägt und bewegt“. Susanne Zobl spricht im Kurier ebenfalls lobend von „eingängigen Melodien“ – mit den beiden Hits „A New Life“ und „This is the Moment“ an der Spitze.


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