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Ovationen für NEXT TO NORMAL in Dortmund

Die sechste deutschsprachige Neuinszenierung in kaum drei Jahren sorgt für Kontroversen zwischen Publikum und Presse.

NEXT TO NORMAL in Dortmund (Fotos: Theater/Björn Hickmann/stage pictures)

Trailer des Theaters Dortmund zu NEXT TO NORMAL

Trailer des Landestheaters Linz (2014)

Das NEXT TO NORMAL-Ensemble bei den Tony Awards 2009

Um mit dem schlimmsten Verdikt anzufangen: "Dies ist ein richtig schlechtes Stück" - findet Julia Gaß, die Kritikerin der Ruhrnachrichten, worauf eine von vielen kommentierenden Leserstimmen prompt erwidert, deren Artikel sei "eine richtig schlechte Kritik". Weitere Kommentare stoßen ins gleiche Horn: "Einen Abend mit Tiefe, Kraft, toller Musik und wichtiger, weil unterschätzter Thematik" hat eine Leserin erlebt, und ein weiterer Premierenzuschauer, der selbst therapeutisch tätig ist, fand die Aufführung "wunderbar treffend, ausdrucksstark und berührend".

Es geht um NEXT TO NORMAL und die Neuinszenierung dieses Musicals in Dortmund. Die inzwischen sechste (nicht die dritte, wie es in einer anderen Rezension heißt) deutschsprachige Produktion von NEXT TO NORMAL sorgt tatsächlich für einen kleinen "Shitstorm": So gut wie alle kommentierenden Leser der besagten Kritik wenden sich gegen deren negative Haltung und plädieren dafür, dass man eine bipolare Störung sehr wohl als geeigneten Stoff für ein Musical ansieht (dass dies nicht der Fall sei, ist ein regelmäßiger Einwand professioneller Rezensenten).

Auch in Dortmund ließ sich das Publikum wieder zu stehenden Ovationen hinreißen, was einem Kritiker nicht als Maßstab dienen mag: In einer zweiten negativen Rezension im Westfälischen Anzeiger heißt es, "bestürzende Momente" würden "gleich eingelullt, als würde die nächste Pille eingeworfen", und das Stück sei "langatmig, uninteressant und verblüffend harmlos" - und erneut erkennt der (ungenannt bleibende) Rezensent, dass "die üblichen, gefälligen Genre-Standards einfach nicht zum Inhalt passen". 

Man kann auch anderer Meinung sein: "Der Westen" (Arnold Hohmann) ordnet NEXT TO NORMAL als "neues, aufregendes Gegenwartstheater" ein und konstatiert selbstkritisch, dass dieses Potenzial der Gattung Musical hierzulande kaum erkannt werde. Thomas Molke merkt im Online-Musikmagazin OMM an, dass "sich das Publikum trotz des ernsten Themas gut unterhalten" fühle und fasst zusammen, dass es den Musicalautoren gelinge, "eine aktuelle Problematik nicht nur anzusprechen, sondern auch Mut zu machen, mit großen Verlusten und Ängsten umgehen zu können".

Silke Milpauer resümiert für die Musicalzentrale: "Die Dortmunder Inszenierung kommt eine Spur rauer daher als einige Vorgängerversionen, löst intensive Emotionen aus und schärft beim Publikum das Bewusstsein dafür, dass Musical weit mehr ist als eingängige Melodien zu seichten Texten und Themen. Ein unter die Haut gehendes Theatererlebnis, welches sich nicht nur mit Ethik in der Medizin beschäftigt, sondern auch mit unserem Verständnis von Normalität und unserem Umgang mit einer Krankheit, die wirklich jeden von uns treffen kann. Uneingeschränkt empfehlenswert".

Bis 11. Juni ist Zeit, sich in Dortmund ein eigenes Bild zu machen. Falls das nicht klappt: Die Produktion der deutschsprachigen Erstaufführung ist Ende April in Wien zu sehen, und auch in der kommenden Saison wird man an mehreren Orten in Deutschland über NEXT TO NORMAL diskutieren können.


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