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"...über Martin Luther viel gelernt"

Nina Schneider, Autorin von LUTHER - REBELL GOTTES, hat sich über eine lange Zeit mit dem Reformator beschäftigt.

Die gebürtige Salzburgerin Nina Schneider, Textdichterin von LUTHER - REBELL GOTTES, absolvierte eine Musicalausbildung am Konservatorium der Stadt Wien und trat in Stücken wie "The Rocky Horror Show", "Sie liebt mich" und "The Seven Year Itch" auf. Bereits während ihrer Tätigkeit als Bühnendarstellerin schrieb sie gemeinsam mit dem Komponisten Johannes Glück die musikalische Komödie "Das Greingold oder Marder unter uns" und später die Theater-Soap "Jägerstraße". Für den Komponisten Paul Graham Brown verfasste sie Buch und Liedtexte für sein Projekt "Das Newsical" und schrieb mit ihm in weiterer Folge Musicals wie "Ein Stück vom Mond", "Create your Life" und "Show Dogs", für das sie 2007 den „Frank Wildhorn Award for Musical Theatre“ in Graz verliehen bekamen. Für das Düsseldorfer Capitoltheater erstellte sie die Neufassung des Musicals „Miami Nights“ und diverse Dinner- und Jukebox-Shows.

Sie war Mitglied des Autorenteams der ORF-Serie "Mitten im Achten" und bei verschiedenen Film- und Fernseh-Projekten als Skriptberaterin tätig.  Als Übersetzerin zeichnet sie sich u.a. verantwortlich für die deutschen Fassungen von Musicals wie" Spring Awakening", "The Producers", "Artus-Excalibur", "The Pirate Queen", "Closer than Ever", "Dynamite", "Fairystories" und "Superhero". Sie übersetzte außerdem mehrere Fernsehserien ins Deutsche, u.a. die Disney-Serien "Melissa & Joey" und "I didn´t do it", sowie die Zeichentrickserie "Courage, the Cowardly Dog".

 

Liebe Nina Schneider, man kann nicht ohne Weiteres aus dem Leben einer historischen Figur ein Musical machen. Welche Schwerpunkte haben Sie in LUTHER - REBELL GOTTES gesetzt?

Wir haben uns hauptsächlich auf den Zeitraum zwischen 1505 und 1530 konzentriert. Unsere Rahmenhandlung spielt 1530, kurz nach dem Augsburger Reichstag, wo das Augsburger Bekenntnis verlesen wurde. Luther wird von einem seiner Gegner, dem katholischen Theologen Johannes Eck, aufgefordert, Rechenschaft über sein Leben abzulegen, da er für die katholische Kirche als Ketzer gilt. Das ermöglichte uns, in Rückblenden signifikante Ereignisse aus Luthers Leben zu erzählen: Das fängt an mit dem schrecklichen Gewitter, in das Luther mit 22 geriet und in Todesangst der Heiligen Anna versprach, ein Mönch zu werden. Dann die Ablehnung des Ablasshandels, der Thesenanschlag, der Reichstag in Worms. Wir fanden auch, dass nach 1530 nicht mehr so viel passierte - Luther musste sich zurückziehen, er galt als vogelfrei, kam aus Sachsen nicht heraus und konnte auch nicht nach Augsburg fahren. Es wurde ein bisschen ruhiger um ihn. Die frühere Lebensphase gibt uns bessere Möglichkeiten, zu fragen: Was hat ihn ausgemacht, was bewog ihn, ins Kloster zu gehen, wie gelangte er zu seinen Erkenntnissen und was lösten diese aus?

 

Nun kann man sich ein Gewitter auf der Bühne gut vorstellen, und auch einen Reichstag. Aber Luthers Biografie enthält ja auch viele theologische Aspekte, die nicht unbedingt bühnenwirksam sind. Mussten Sie hier stark vereinfachen?

Man musste natürlich vereinfachen, denn das ist tatsächlich komplex und sehr ausgreifend, ein immerwährender Diskussionsgegenstand. Wir mussten das nachvollziehbar machen und emotional zugänglich. Nehmen wir das sogenannte Turmerlebnis Luthers mit der Erkenntnis, dass Gott kein strenger, zürnender Richter ist, sondern uns seine Gnade schenkt, dass man diese Gnade also gar nicht durch Taten erlangen kann. Für uns heute ist das nicht so besonders, wir kennen es aus dem Religionsunterricht, aber für die Menschen vor 500 Jahren waren Teufel und Hölle eine Realität. Auch Gelehrte, gerade Theologen, haben fest daran geglaubt, dass wir bestraft werden und unsäglich leiden müssen - so, wie wir heute vielleicht Angst haben vor Krebs oder vor einem Terroranschlag. Wenn also unter dieser Perspektive plötzlich ein Gelehrter sagt: Das ist nicht so; auch wenn du ein Sünder bist, wirst du von Gott geliebt, er wird dich retten und du kommst nicht in die Hölle, das war für die Menschen damals ungeheuerlich. Hier habe ich eher die Herausforderung gesehen: Nicht komplexe Themen über Gebühr zu vereinfachen, sondern ihre emotionale Bedeutung zu zeigen. Es ist ja ein Bühnenstück und keine Dokumentation!

 

Wie viele originale Texte von Luther sind eingeflossen und diese womöglich in dem alten Deutsch, was ja bei der Lektüre ins Gewicht fällt, dass man beim Lesen nachdenken muss, was ist denn nun eigentlich gemeint?

Sprachlich haben wir uns eher an den Übertragungen ins heutige Deutsch orientiert. Es sind aber viele Zitate eingeflossen, denn wir konnten ja aus einem großen Schatz schöpfen: Luther hat als Universitätsprofessor viel geschrieben und veröffentlicht, und es gibt auch weitere Zeugnisse wie die Tischreden. Man hat also eine Fülle von Material. Luther hat auch kein Blatt vor den Mund genommen! Eine für mich sehr wichtige Kernaussage war, dass niemand zum Evangelium gezwungen wird: "Wer da glaubt, der glaube; wer da kommt, der komme; wer draußen bleibt, der bleibe". Das ist auch aus heutiger Sicht bemerkenswert. Luther hat aber auch über weltlichere Themen gesprochen und geschrieben, so hat er über seine Ehefrau gesagt, er sei nicht heiß verliebt oder brenne nach ihr, sondern er liebe sie. Oder dass die, die den Zölibat befürworten, auch das Scheißen verbieten wollen - das darf man sich für ein Bühnenstück natürlich nicht entgehen lassen!

  

Sie erwähnten Luthers Ehe mit Katharina von Bora schon - nicht heiß verliebt, sagten Sie - erwartet man aber nicht gerade das von einem Musical? Oder wenigstens eine große, tragisch scheiternde Liebe?

Das glaube ich nicht. Erfolgreiche Musicals wie "Cats" oder "Hair" haben ja auch keine typische Liebesgeschichte. Aber wir haben ja eine! Natürlich läuft sie nicht unter dem Motto "hübscher junger Mann trifft hübsches junges Mädchen und sie brechen beide in Gesang aus". Sie ist untypisch, aber reizvoll. Katharina von Bora war eine entflohene Nonne, die ihr Kloster verlassen hatte, weil Luthers Lehren sie angesprochen haben. Mit acht Mitschwestern steht sie in Wittenberg und muss verheiratet werden, denn damals konnte man als Frau nicht in einer Boutique arbeiten, es gab nur Ehe oder Gosse. Luther hat sich für sie verantwortlich gefühlt. Es war schwer, für Katharina jemanden zu finden, sie war intelligent und streitlustig, und den auserwählten Pfarrer namens Glatz wollte sie nicht. So kam sie eben an Luther. Wir haben daraus eine witzige Ensemblenummer gemacht. Das mag nun nicht so musicaltypisch sein, aber es ist originell. Und die Verwandlung einer Zweckgemeinschaft in eine Seelenverwandtschaft ist doch etwas, mit dem man sich vielleicht noch besser identifizieren kann. Der erste Satz von unserem Liebesduett heißt "Alltag ist nicht leicht" und jeder, der eine Beziehung führt, kann das wohl unterschreiben!

  

Sie haben sich über einen langen Zeitraum mit Luther beschäftigt, denn so ein Musical entsteht ja nicht über Nacht. Hatten Sie vorher eine bestimmte Meinung zu Luther, und hat sich diese Meinung verändert? Sind Sie ihm durch diese Arbeit näher gekommen?

Ich bin ihm auf jeden Fall näher gekommen. Im evangelischen Religionsunterricht wurden ja eher die historischen Eckdaten behandelt, der Ablass, die Thesen, die Bibelübersetzung, die auch enorm wichtig war für die deutsche Sprache. Man hat aber wenig über den Menschen Luther erfahren, sein soziales Umfeld, die Gründe für die Entscheidung, ins Kloster zu gehen. Und auch die weltgeschichtliche Bedeutung ging mir erst später auf - dass es ohne die Reformation wohl den Dreißigjährigen Krieg nicht gegeben hätte. Nun musste ich als Autorin ja eine Haltung zu Luther finden und wissen, was ich über ihn erzählen will - und erneut: wie ich das emotional zugänglich machen kann. Dieser Prozess war eigentlich sehr schön. Was mir imponierte, war, dass Luther nichts aus Berechnung gemacht hat oder um persönlich weiterzukommen - eher im Gegenteil, denn er wusste ja, was ihm blüht, wenn er sich gegen den Ablass, gegen die Kirche als solche wendet, wenn er den Papst als Antichrist bezeichnet - in einer Zeit, in der Ketzer durchaus noch auf den Scheiterhaufen kamen. Aber Luther hatte echte Sorge um das Seelenheil jener Menschen, die einen Ablass kaufen, glauben, sie seien von ihren Sünden erlöst und dann trotzdem in die Hölle kommen. Dieses Mitleid fand ich sehr sympathisch. Und wichtig war für mich ebenso, dass Luther vehement dagegen war, seine Lehren zu radikalisieren oder mit Gewalt umzusetzen. Er setzte seine persönliche Sicherheit aufs Spiel, verließ die Wartburg und begann erneut zu predigen, obwohl jeder ihn hätte verhaften oder gar töten können. Er sagte den Menschen, dass die Gedanken an Radikalisierung und Gewalt ihnen vom Teufel eingegeben seien, dass er selbst dies nie gewollt habe. Das hat mir die Figur zugänglich gemacht. Ich habe über Martin Luther sehr viel gelernt.

 

Die Fragen stellte Jürgen Hartmann.


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