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Wie ein Klassiker interpretiert

Die sensationelle FOLLIES-Produktion in London kam einer Neuentdeckung dieses Sondheim-Musicals gleich.

Trailer FOLLIES (National Theatre, London)

We looked at its fragmented structure and asked how we could bring that to life and how we could honor it. We’d read it and ask, ‚Why is that there?‘. Treating it more like a classic than something that needed to be fixed. Dominic Cooke, FOLLIES-Regisseur London 2017

Die Produktion von Stephen Sondheims FOLLIES durch das Londoner National Theatre, die im Februar und März 2019 wegen der großen Nachfrage erneut gezeigt wird, war vielleicht die Überraschung der Saison. Kaum jemand hatte vorhergesehen, wie sehr FOLLIES, 1971 uraufgeführt, auch heutzutage auf das Publikum wirkt und das in einer Inszenierung, deren Regisseur sich ausdrücklich zur originalen Fassung bekannte und das Werk, wie er selbst sagte, „wie einen Klassiker“ interpretierte.

Ältere deutsche Musicalinteressierte werden sich vielleicht an die Aufführung im Theater des Westens Anfang der 1990er Jahre erinnern. Dass sie in den Rollen der älter gewordenen Revuestars die unverwüstliche Garde deutscher Showgrößen von Brigitte Mira bis zu den Kessler-Zwillingen – nebst Eartha Kitt für den Song „I’m Still Here“! – aufbot, war zweifellos ein echter Theatercoup, hat aber den Blick auf FOLLIES doch in eine falsche Richtung gelenkt. Gerade die Spannung zwischen dem aktuellen, nicht mehr so recht glänzenden Status quo in Ehe und Beruf einerseits und den nostalgisch gefärbten, von den jungen Alter Egos der Figuren dargestellten Erinnerungen nämlich macht dieses ungewöhnliche Musical aus. So gesehen, macht FOLLIES in Richtung Publikum mannigfaltige Identifikationsangebote – für Menschen, die am Anfang ihres Erwachsenenlebens stehen, ebenso wie für reifere Menschen, die ihre Standpunkte und ihre Erinnerungen zu prüfen bereit sind.

"It lets old ghosts mingle with lost souls and becomes much, much more than a mere memory play. Instead, it grows into something far more profound – a philosophical meditation on the passage of time and the agonies of aging", schrieb das Magazin Variety über die Produktion in London, und im Guardian hieß es, FOLLIES sei "a stupendous revival".

Mit reizvollen Besetzungsmöglichkeiten, Ballett und großem Orchester ist FOLLIES auch für deutsche Stadt- und Staatstheater die Wiederentdeckung wert. Eine Übersetzung von Michael Kunze liegt vor und wird in Kürze an die Neufassung angepasst.


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