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Wenig Personal, maximale Wirkung

Überschaubare Solistenbesetzung, kein zusätzliches Ensemble, aber geeignet für die große Bühne - hier sind vier reizvolle Titel.

NEXT TO NORMAL 2016 in Dortmund (Foto: Björn Hickmann)

NEXT TO NORMAL in der Waggonhalle Marburg (Foto: Theater/Luca Gercke)

Was macht man, wenn die „große“ Bühne relativ klein ist und auch die Zahl der verfügbaren Darsteller nicht gerade ausufert? Wenn man zwar starke Solisten, aber kein zusätzliches Ensemble oder gar Ballett stellen kann? Wenn wenig Platz für Instrumentalisten da ist? Kurz: Was macht man, wenn man mit wenig Personal maximale Wirkung erzielen will? Man liest hier schnell weiter!

Da wäre zunächst NEXT TO NORMAL – in Deutschland, Österreich und der Schweiz vielfach erfolgreich und äußerst unterschiedlich bewährt zwischen großem Opernhaus (Dortmund) und Jugendclub im Studio (Lüneburg). Mit nur sechs Darsteller*innen und ebenso vielen Musiker*innen ist das Personal überschaubar, auch Bühne und Kostüm können einfach gehalten werden. Dennoch eignet sich dieses Stück inhaltlich ohne Weiteres für die „Hauptbühne“ und ist zugkräftig genug für größere Räume.

Die inzwischen fast zwanzig Produktionen in Deutschland seit 2013 zeigen auch, wie unterschiedlich NEXT TO NORMAL besetzt werden kann, von einer Riege prominenter Musicaldarsteller wie in Fürth oder Dortmund über Semiprofis bis zu Amateurensembles. Aber auch für gut singende Schauspieler ist NEXT TO NORMAL machbar: Am Theater Baden-Baden kam das Musical 2017/18 mit fünf hauseigenen Schauspielern plus einem Musicaldarsteller heraus. Es geht um eine dysfunktionale Familie, deren Mutter unter einer bipolaren Störung leidet - das Argument, so etwas eigne sich doch nicht für ein Musical, hat NEXT TO NORMAL inzwischen dutzendfach entkräftet.

Neu für Deutschland ist TOXIE, DER RÄCHER DER VERSTRAHLTEN (orig. THE TOXIC AVENGER) - die Erstaufführung wird im Herbst 2020 stattfinden, der Ort ist noch geheim. Mit nur fünf Darsteller*innen (von denen zwei jeweils ein Dutzend Rollen in schnellem Wechsel spielen) und einer maximal neunköpfigen Band präsentiert dieses Musical ein brisantes Umweltthema auf äußert bizarre Weise. Es gibt also viel zu lachen, ohne dass die Thematik an Dringlichkeit verliert. THE TOXIC AVENGER basiert auf dem gleichnamigen Film von 1984, ein Musterbeispiel ebenso furchtbarer wie pfiffiger B-Movie-Ästhetik, und wurde u.a. 2009 in New York sowie 2016 in London gezeigt.

In ähnlichem Rahmen, also in professionellen Off-Theatern, lief auch LITTLE MISS SUNSHINE (2016 in New York und 2019 in London). Ebenfalls nach einem gleichnamigen Film entstanden, zeigt dieses Musical wie NEXT TO NORMAL eine geschickt fokussierte Familiengeschichte, und auch wenn LITTLE MISS SUNSHINE insgesamt eher eine Komödie ist, gibt es doch zahlreiche zwischen Melancholie, Stress und Depression schillernde Untertöne. Ist der Weg der Familie zu einem Kinder-Schönheitswettbewerb eine harte Prüfung für alle, findet sie schließlich doch noch zu anrührender Solidarität und einem Neubeginn. Acht Musiker*innen begleiten hier sechs Hauptdarsteller (darunter zwei Jugendliche), hinzu kommen wenige Nebenrollen. Gegenüber der rockig geprägten Musik von NEXT TO NORMAL und TOXIE erklingen in LITTLE MISS SUNSHINE eher sanfte, poppige Töne.

Dem Jazz huldigt hingegen ARCHY & MEHITABEL (auch unter dem Titel „Shinbone Alley“ bekannt) mit der Musik von George Kleinsinger, das bei seiner Premiere 1957, an der u.a. Eartha Kitt mitwirkte, als erstes „Jazzmusical“ gewürdigt wurde. Man hat in der fabelartigen Tiergeschichte sogar einen Vorläufer von CATS gesehen - aber auch wenn man diese Parallele nicht sofort erkennen mag, wäre ARCHY & MEHITABEL in der seit kurzem vorliegenden deutschen Fassung die Entdeckung wert: Die melancholisch angehauchte Liebesgeschichte einer dichtenden Kakerlake und einer hochnäsigen Katzendame wird von den versierten Textern Joe Darion und Mel Brooks (FRANKENSTEIN JUNIOR, THE PRODUCERS) höchst anrührend und originell erzählt.


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