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Von Seele zu Seele gesprochen

Ein Gespräch mit Renate Bleibtreu anlässlich ihrer gerade erschienenen Übersetzung von Bergmans DAS SIEBENTE SIEGEL.

DAS SIEBENTE SIEGEL (Det sjunde inseglet, 1957, Bengt Ekerot als Tod, Max von Sydow als Ritter Antonius Block. Foto: Ingmar Bergman Foundation)

Eine der berühmtesten Szenen von DAS SIEBENTE SIEGEL wurde auf den faszinierenden Klippen "Hovs Hallar" in Südschweden gedreht (Foto: Ingmar Bergman Foundation).

Ingmar Bergmann (1918-2007). Foto: Ingmar Bergman Foundation

Eine Seite aus dem Drehbuch (Ingmar Bergman Foundation)

Renate Bleibtreu (Foto: Karin Castegren)

DAS LÄCHELN EINER SOMMERNACHT 2016 in Osnabrück (Foto: Theater)

PASSION / SEHNSUCHT DER FRAUEN 2019 in Karlsruhe (Foto: Bad. Staatstheater/Felix Grünschloß)

SZENEN EINER EHE in Krefeld 2019 (Foto: Theater)

Auch wenn ein Szenenbild aus Ingmar Bergmans Film DAS SIEBENTE SIEGEL - ein Ritter im Schachspiel mit dem Tod, vor dramatischer Meereskulisse - es zu Berühmtheit brachte, lag dieser Stoff lange nur als Manuskript vor und wurde erst 2018 erstmals auf Schwedisch veröffentlicht.

Die erfahrene Bergman-Übersetzerin Renate Bleibtreu zögerte nicht, sich an eine deutsche Übertragung zu wagen. Ihre Arbeit steht nun bei Musik und Bühne für die szenische Bühnenrealisation zur Verfügung - Anlass für einen ausführlichen Austausch über den ungewöhnlichen Filmstoff, der sich für eine Theaterfassung sehr gut eignet. Die Fragen stellte Jürgen Hartmann.

*

Mir schien es immer auffällig, dass ausgerechnet ein Stoff wie DAS SIEBENTE SIEGEL lange auf die Übertragung ins Deutsche warten musste. Hatte das eher praktische Gründe oder lag es wohl auch an der Besonderheit gerade dieses Sujets?

Renate Bleibtreu: Die Gründe sind wunderbar einfach, und es sind drei.

Ihre Frage brachte mich darauf, mal nachzuschauen, ob meine Übersetzung denn überhaupt die erste ist? Ist sie nicht. Die stammt von Tabitha von Bonin aus dem Jahr 1963 im Verlag von Schröder, Hamburg, mit, wie es heißt „einem Vorwort des Autors und einem Nachwort von Jaques Siclier“, in Lizenz noch einmal 1968 und beide Male, soweit ich sehe, veranlasst von der Cinemathek in Wien. Ein Neuübersetzung ist nach mehr als einem halben Jahrhundert aber durchaus angesagt.

Ob die Erstübersetzung auf Grundlage der Synchronfassung angefertigt wurde oder sogar mit ihr identisch ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellen, im Original lag der Text damals nur im Manuskript vor. Einige seiner Drehbücher hatte Ingmar Bergman unter der Bezeichnung Filmerzählungen (Filmberättelser) zwar veröffentlicht, aber erst ab 1963. DAS SIEBENTE SIEGEL, schon 1957 geschrieben, blieb offenbar unbemerkt in einer Schublade des Archivs auf Fårö liegen, bis es im Rahmen der Gesamtausgabe 2018 jetzt zum ersten Mal auf Schwedisch erschien.

Meine Übersetzungen entstanden auf Veranlassung des Verlags Rogner & Bernhard in Hamburg 2002 im Zusammenhang mit der Idee, ihn als Schriftsteller vorzustellen. Ein Filmscript im üblichen Sinn gibt von ihm nicht, er gab seinen Drehbüchern immer eine dem jeweiligen Thema entsprechende literarische Form. Schrieb außerdem Prosatexte, Glossen, Artikel und Vorträge, unberücksichtig blieben in meinem Band die Hörspiele – das Werk ist so umfangreich, dass ich mich schweren Herzens beschränken musste.

Bei den Recherchen für die Auswahl stieß ich zu meiner Überraschung auf einen Einakter, den er 1956 als Schauspiellehrer für seine Klasse geschrieben hatte: TAFELBILD. EINE MORALITÄT. Die mittelalterliche Form erlaubte ihm, jedem Schüler eine Rolle „auf den Leib zu schreiben“. Und zwar im s. g. „Fach“, für das man damals (nicht nur in Schweden) an einer Bühne engagiert wurde, vertraglich festgelegt, als „Charakterdarsteller/in“, „jugendliche/r Liebhaber/in“, „Naturbursche“, „Komödiant/in“ usw. Ich wusste zwar, dass Bergman DAS SIEBENTE SIEGEL ausgehend von TAFELBILD geschrieben hatte, entschied mich zur Abbildung der Formenvielfalt seines Schreibens aber für das kleine Schauspielschuldrama.

 

In krisenhaften Zeiten wie gerade dieser ist die Lektüre von DAS SIEBENTE SIEGEL berührend und erschreckend zugleich. Meinen Sie, Bergman hatte zur Entstehungszeit des Films, der ja in einem nicht näher definierten Mittelalter spielt, auch aktuelle Entwicklungen im Sinn. oder ist der Stoff eher als allgemeines, ewig gültiges „memento mori“ zu verstehen?

Ingmar Bergman, hieß es immer wieder, kümmere sich nicht um die aktuelle Tageslage, verbunden mit dem Vorwurf, sie sei ihm gleichgültig. (Tatsächlich beobachtet Ritter Antonius Block etwas in der Art an sich selbst.) Aus Äußerungen Bergmans geht freilich klar hervor, dass er weder Lust hatte, in einem Elfenbeinturm zu leben, noch es tat und ihm sehr daran lag, ein Publikum zu erreichen. Eines wollte er auf keinen Fall: ihm geschmäcklerisch nachlaufen oder sich jeweils gängiger Themen bedienen.

Als er 1965 in Amsterdam den Erasmuspreis bekam, hielt er eine Dankesrede – Die freie, schamlose, verantwortungslose Kunst – eine Schlangenhaut voller Ameisen –, sprach von einem schon in der Kindheit spürbaren „Hunger“ nach künstlerischem Ausdruck und fuhr fort: „Das Bedürfnis, Menschen zum Zuhören zu bewegen, zum Kommunizieren, zum Leben in der Wärme einer Gemeinschaft, blieb bestehen. Es verstärkte sich, je mehr das Gefängnis der Einsamkeit sich um mich herum schloss./ Einigermaßen selbstverständlich wird die Kinematografie mein Ausdrucksmittel. Ich machte mich in einer Sprache verständlich, die das Wort, das mir fehlte, Musik, die ich nicht beherrschte, Malerei, die mir gleichgültig war, umging. Plötzlich hatte ich die Möglichkeit, mit der Außenwelt in einer Sprache zu kommunizieren, die buchstäblich von Seele zu Seele gesprochen wird, in Wendungen, die sich beinahe wollüstig der Kontrolle des Intellekts entziehen.“

Pest, Spanische Grippe, Kalter Krieg, McCarthy, Atombombe, Aids, Anonymität im Netz, Terrorismus, Corona …, um nur einige unsichtbare Gefahren zu nennen. Ein „memento mori“ sehe ich in dem Sujet deshalb nicht, weil der dazu nötige mahnende Zeigefinger völlig fehlt. Vielleicht lässt sich ein Anklang an die ebenso mittelalterliche „Ars moriendi“ ausmachen? Der Ritter will nicht sterben, ohne vorher „ein dringendes Anliegen zu klären“. Was er damit meint, errät man unschwer im Lauf des Spiels. Die Sache gelingt ihm sogar, mit einem total faulen Trick, aber immerhin. Er kann den Tod für einen Moment von Jof und Mia ablenken, indem er die Schachfiguren umwirft … versehentlich, sorry, das Spiel ist aus.

Das junge Paar ist gerettet!

 

Von den bekannteren Bergman-Stoffen, die öfters auf der Bühne interpretiert werden – SZENEN EINER EHE, HERBSTSONATE oder PERSONA – scheint mir DAS SIEBENTE SIEGEL sehr verschieden zu sein. Wie würden Sie als langjährige Bergman-Übersetzerin diesen Stoff einordnen? Gibt es inhaltliche Verbindungen zu jenen Filmen Bergmans, die eher gegenwärtig, ja aktuell erscheinen?

Eine thematische Einteilung hat er selbst vorgenommen, in seinem Buch mit dem schlichten Titel Bilder. Er spricht ausführlich über seine Filme, nachdem er sie sich gemeinsam mit seinem Verleger Lasse Bergström im Sommer 1990 in seinem Kino auf Fårö noch einmal angesehen hatte.

Unter die Rubrik Träume Träumer stellt er u. a. PERSONA, die Geschichte der überaus schmerzlichen Spannung zwischen einer verstummten Schauspielerin und einer ins Leere redenden Krankenschwester. Ingmar Bergman zitiert aus seinen Arbeitsbüchern: „Wenn ich trotz allem als Künstler weitermache, dann nicht mehr als Ausflucht und Spielerei eines Erwachsenen, sondern im vollen Bewusstsein dessen, dass ich es mit einer anerkannten Konvention zu tun habe, die mir und meinen Mitmenschen in seltenen Augenblicken für Sekunden Linderung und Nachdenken ermöglicht.“

HERBSTSONATE reiht er unter Andere Filme ein und fragt sich, warum dieser Film, warum gerade dieser Film? Die Geschichte war ihm eingefallen. Punkt.

Unglaube Glaube heißt die Überschrift, in der DAS SIEBENTE SIEGEL steht, wobei ich finde, dass die Thematik dieses Drehbuchs teilweise auch in die Abteilung Gaukelei Gaukler gehören würde, zu einem zentralen Thema im Werk Ingmar Bergmans, der bitter vermissten und oft fatalen Beziehung zwischen Bürgern und Künstlern.

Seltsam, ein Film fehlt in dem Schema: SZENEN EINER EHE. Warum? Ich weiß es nicht.

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