zurück
nach oben
Merkliste

Mel Brooks und die Renaissance der Musical Comedy

Mel Brooks’ Musicalklassiker THE PRODUCERS kehrt nach einer erfolgreichen Produktion in der Menier Chocolate Factory ins Londoner West End zurück. Ein Blick über die Grenzen.

THE PRODUCERS im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin (2013; Foto: Theater/Silke Winkler)

THE PRODUCERS im Theater für Niedersachsen Hildesheim (2020; Foto: Theater/Ludwig Olah)

| Lesezeit: | Druckansicht

Als der damals noch weitgehend unbekannte Autor und Regisseur Mel Brooks 1967 seinen Erstlingsfilm THE PRODUCERS vollendet hatte, schien alles darauf hinzudeuten, dass die Komödie mit ANATEVKA-Star Zero Mostel und Gene Wilder ein gewaltiger Flop werden würde. Die Reaktionen beim Premierenpublikum sowie bei den Kritikern waren vernichtend und auch das Studio hatte den Glauben an die bissige Showbusiness-Satire lägst verloren. Erst eine begeisterte Besprechung des Films durch Comedy-Legende Peter Sellers brachte den Durchbruch. Der Film wurde zum Kultklassiker und Mel Brooks sogar mit dem Oscar für das beste Originaldrehbuch ausgezeichnet.

Ein gewinnbringender Flop? Von wegen...

Die Prämisse des Films ist dabei ebenso simpel wie brillant: Der schlitzohrige Broadwayproduzent Max Bialystock wird durch den schüchternen Anwalt Leo Bloom darauf aufmerksam gemacht, dass man am Broadway mit einem Flop unter bestimmten Umständen mehr Gewinn machen kann als mit einem Hit. Die beiden beschließen daraufhin, das schlechteste Stück aller Zeiten – „Springtime for Hitler“ („Frühling für Hitler“), eine geschmacklose Verherrlichung Hitlers in Musicalgestalt – zu produzieren und sich dann mit dem Geld ihrer Investoren ins Ausland abzusetzen. Doch statt des zu erwartenden Desasters wird das Stück als satirisches Meisterwerk gefeiert und zum Hit.

Für Brooks bildete der Film den Grundstein einer illustren Karriere, in deren Verlauf sich der amerikanische Filmemacher auch immer wieder künstlerisch mit dem Genre Musical auseinandersetzte – man denke nur an die entsprechenden Szenen aus dem Film YOUNG FRANKENSTEIN (FRANKENSTEIN JUNIOR, 1974). Es verwundert daher wenig, dass THE PRODUCERS auf Initiative von Produzent David Geffen mehr als dreißig Jahre nach seiner Filmpremiere zu einem Bühnenmusical umgearbeitet wurde, zu dem Mel Brooks höchstselbst die Songs beisteuerte.

Eine musikalische Verbeugung vor den Klassikern des Broadways

Schon die berühmten Songs aus dem Originalfilm „Springtime for Hitler“ und „Prisoners of Love“ stammten aus Brooks’ Feder und sind natürlich auch in der Musicalfassung enthalten, die sich allgemein sehr eng an die Filmvorlage hält. Hinzutreten musikalisch äußerst vielseitige neue Nummern wie „I Wanna Be a Producer“, „Keep It Gay“ oder „We Can Do It“, die sich nicht nur nahtlos mit den Filmsongs zu einer organischen Partitur verbinden, sondern sich auch bewusst mit der Geschichte des Broadway-Musicals auseinandersetzen und auf Genreklassiker von George Gershwin, Cole Porter oder Jule Styne Bezug nehmen.

Wie satirisch überspitzt diese Reflexion der Genregeschichte bisweilen ist, merkt man schon bei einem Blick auf manche Tempobezeichnung, wie etwa „Fred & Ginger, In 2“ bei „That Face“ (T. 91), mit der Brooks augenzwinkernd auf die großen Tanznummern von Fred Astaire und Ginger Rogers verweist. „Listen to these songs. They are open and accessible – audience friendly, like the best scores of the ‘40s and ‘50s“, betont der amerikanische Librettist John Weidman (ASSASSINS, PACIFIC OVERTURES, BIG) in den Liner Notes des Cast-Albums. „Ballads, speciality numbers, eleven o’clock numbers – all the traditional elements are here. Indeed, Brooks has acknowledged proudly that in crafting his score he has drawn his inspiration from the classic achievements of Broadway’s classic composers.“

Selbstverständlich kombiniert Brooks diesen Lobgesang auf das Broadway-Musical mit seinem ganz eigenen Stil, gerade was die Liedtexte betrifft, die laut Weidman voll von Brooks’ „distinctive, inimitable wit“ seien. Als Beispiel hierfür genügt schon ein kurzer Blick auf die heute legendären Verse des Songs „Springtime for Hitler“ (von denen eine Zeile in den Bühnenfassungen per Tonaufzeichnung stets von Brooks selbst eingesprochen ist – eine humoristische Referenz auf den Originalfilm).

Die Wiederbelebung der Musical Comedy Anfang der Zweitausender

Brooks selbst bezeichnet die Bühnenfassung von THE PRODUCERS als „old fashioned, traditional musical comedy“, wobei die Betonung auf Musical Comedy liegt. Hierbei handelt es sich um ein Subgenre des Musicals, das nach seiner Hochzeit während des sog. „Golden Age of Broadway“ (zwischen 1943 und 1964) mit Klassikern wie GUYS AND DOLLS, THE PAJAMA GAME oder (als Nachblüte) Sondheims A FUNNY THING HAPPENED ON THE WAY TO THE FORUM in den Achtzigern und Neunzigern kaum noch rezipiert wurde. Brooks’ Musicalversion von THE PRODUCERS aus dem Jahr 2001 hat maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Form von satirisch-unterhaltendem, leichtfüßigem Musiktheater eine Renaissance erlebt hat und sich als Gegenpol zu den zunehmend ernsteren Stoffen der damaligen Zeit (siehe Werke wie RENT, RAGTIME oder PARADE) etablieren konnte.

„The score of THE PRODUCERS does not simply invite the audience to have a good time, it endorses the idea of having a good time“, erläutert Weidman in diesem Zusammenhang. Hierzu trug bei der Originalinszenierung insbesondere die die Genregeschichte der Musical Comedy kongenial reflektierende Regie und Choreografie von Susan Stroman bei, die auch für die Verfilmung des Musicals 2005 mit Matthew Broderick und Nathan Lane verantwortlich war. Stromans Originalproduktion von THE PRODUCERS wurde (bei 15 Nominierungen) mit zwölf Tony Awards ausgezeichnet, mehr als jedes andere Musical in der Geschichte des Broadways, und 2004 auch erstmals im Londoner West End gespielt, wo das Stück 920 Vorstellungen erzielte.

Eine neue Inszenierung im Kammerformat

Mit der aktuellen Produktion des Musicals in der Menier Chocolate Factory erlebt THE PRODUCERS nun nicht nur sein erstes Londoner Revival, sondern ist zugleich in einer Inszenierung zu sehen, die sich deutlich von Stromans Originalproduktion unterscheidet. Dies liegt unter anderem daran, dass die Bühne der Menier Chocolate Factory deutlich kleiner ist und weniger technische Möglichkeiten bietet als die eines großen West-End-Hauses. Hierdurch zeigt sich jedoch eindrucksvoll, dass es keine ausladende Inszenierung braucht, damit THE PRODUCERS funktioniert. Auch im Kammerformat ist dieses Stück ein voller Erfolg – was sich nicht zuletzt darin offenbart, dass jüngst verkündet wurde, die Menier-Chocolate-Factory-Produktion werde im Sommer ins West End transferiert.

Arifa Akbar spricht im Guardian von einem „irresistible revival“ und führt aus: „Still so original, and delightfully – daringly – funny, it is revived by director Patrick Marber with such vigour, sparkle and controlled wildness that it renders itself the London show of the festival season. […] It is irresistible, absurd and joyful, both celebrating and sending up the power of theatre. A blast of a show.“ Im Standard schreibt Nick Curtis, die Produktion sei „a superb revival of this buoyantly vulgar Broadway musical“, während im Strand Magazine zu lesen ist: „[It is] a sheer testament to Mel Brooks’ writing that I still found myself cackling at every single one of his jokes and smiling inwardly at all the Easter eggs hidden within, despite having heard them so many times over in the past. […] Close to 60 years after the release of the original film, THE PRODUCERS remains as relevant and hearty a commentary as ever, on the realities of the entertainment industry and all the chaos that goes on in the back office.“

Auch in Deutschland ist THE PRODUCERS ein beliebtes, wenn auch in letzter Zeit etwas seltener (wir meinen angesichts aktueller Entwicklungen: zu selten) gespieltes Werk, wie die Produktionen in Leipzig (2023), Hagen (2023), Hildesheim (2020) oder Mainz (2019) unterstreichen. Die neueste Londoner Produktion hat bewiesen, dass das Musical auf der großen Bühne ebenso gut funktioniert wie in einem intimen Setting – und dass der Charme und die Wirkung des Stücks keinesfalls verloren gehen, wenn es auf kleineren Bühnen gespielt wird. Gleichzeitig wird einem in der aktuellen Version von THE PRODUCERS noch einmal deutlich vor Augen geführt, was für ein hervorragender, zeitloser und unterschätzter Musical-Autor Mel Brooks ist, dessen anderer Musical-Hit YOUNG FRANKENSTEIN Ende des Jahres ebenfalls ein großes Revival in Großbritannien erhalten wird. Seine Verdienste für die Wiederbelebung der Musical Comedy können ihm jedenfalls gar nicht hoch genug angerechnet werden.

Text: Dr. Patrick Mertens


Archiv

IN AKTUELLES SUCHEN