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Ein frühes Konzeptmusical: LADY IN THE DARK

In New York wird Kurt Weills maßgebliches Musical in einer Neuproduktion gezeigt.

LADY IN THE DARK in Hannover (2011, Foto: Staatsoper Hannover)

LADY IN THE DARK am New York City Center

LADY IN THE DARK an der Staatsoper Hannover (2011)

Die Operetten von Kurt Weill gelten als ebenso spannende wie heikle Herausforderung (nicht nur) für Übersetzer. In neuen deutschen Fassungen von Roman Hinze liegen seit einiger Zeit LADY IN THE DARK und ganz neu ONE TOUCH OF VENUS vor. Während diese im Juni 2019 erstmals an der Staatsoperette Dresden aufgeführt wird, stand LADY IN THE DARK in den letzten Jahren in Hannover und Mainz auf dem Spielplan. „Zu Recht gefeiert“, urteilte die Hannoversche Allgemeine seinerzeit, und die Neue Musikzeitung ließ sich in Mainz davon faszinieren, „wie die langsam beginnende Bühnenerzählung immer mehr Fahrt aufnimmt, wie Alltagsszenen und Kindheitserinnerungen in den Traumsequenzen sich zu skurrilen Bildfolgen verfremden und verschränken, die wiederum durch die Musik ihre besondere witzige oder bedrohliche Qualität bekommen“.

Kurt Weills Broadway-Werke gelangen hierzulande bisher nur zögerlich zu Ehren: VIEL LÄRM UM LIEBE, eine üppige Broadway-Operette, kam 2013 an der Staatsoperette Dresden heraus, LOVE LIFE, ein schillerndes Vaudeville, 2017 am Theater Freiburg. Mit der Einordnung und Wertschätzung von Weills New Yorker Taten hatte man gerade in Deutschland schon immer Schwierigkeiten. Es kreuzen sich vermutlich Schubladendenken („Mixtur aus Operette und Musical, mal Broadway-Operette genannt, vielleicht besser als Show bezeichnet“, schrieb ein Dresdner Kritiker, der in VIEL LÄRM UM LIEBE sogar „biedere Zugeständnisse zum schnellen Dollar in der Nacht von New York“ zu erkennen glaubte) und historische Unsicherheit, als die eine Rezension zur hannöverschen LADY IN THE DARK die deutsche Skepsis am amerikanischen Weill wertet: „Erst den Mann vertreiben und ihm dann übelnehmen, dass er auf dem Broadway sein Glück sucht“.

Dass Kurt Weill am Broadway nicht schlankerhand kommerzielle Musicals schrieb, sondern mit Formen und Genres experimentierte, mit dem Ziel, ein echtes amerikanisches Musiktheater zu entwickeln, will man offenbar nur ungerne wahrhaben. „Ich bin überzeugt, dass die Oper im traditionellen Sinne mit Wagner, Strauss und deren Nachfahren ihr Ende gefunden hat“, schrieb Weill 1942, „man muss selbstverständlich das Beste der Epoche konservieren; man kann den Weg aber nicht weiter fortsetzen. [...] Die mir vorschwebende neue Form ist richtiges, lebendiges, modernes ‚musikalisches Theater‘, in dem die Musik nach Ausdehnung und innerer Bedeutung gleichberechtigter Partner ist.“ Insbesondere LOVE LIFE und LADY IN THE DARK zeigen sehr deutlich, wie Weill das versteht: Skizzieren in LOVE LIFE die abgegrenzten musikalischen Teile, quasi wie Einlagen, ausgewählte Stationen der amerikanischen Geschichte, sind in LADY IN THE DARK jene Träume, die die Hauptfigur während ihrer therapeutischen Sitzungen thematisiert, als eigenständige „Miniatur-Opern“ gestaltet.

LADY IN THE DARK war soeben im New York City Center in einer Produktion von „Mastervoices“ zu sehen. Im Newsletter der Kurt Weill Foundation finden sich dazu eine Reihe von aufschlussreichen Beiträgen. So nennt der Buchbearbeiter Christopher Hart das Werk „still thrilling in ist innovative storytelling“ und der Weill-Experte Bruce D. McClung wird mit der Wertung „progenitor oft he later concept musical“ zitiert. Besonders interessant ist die Analyse von Stephen Hinton, ebenfalls Autor eines Weill-Buchs. Er meint, LADY IN THE DARK enthalte auch eine ordentliche Portion Ironie: „The psychoanalytic theory that informs its book is itself an object of scrutiny. Mixing psychoanalytic depth and Hollywood glitz, seriousness and humor, LADY IN THE DARK can seem both a celebration and a send-up of contemporaneous trends”.

Oberflächlich betrachtet, mag die Wandlung der Heldin von einer neurotischen Karrieristin zur liebenden Frau ein bisschen schnell vonstatten gehen. Das ändert aber nichts daran, dass die geschilderten Probleme und Vorgänge an sich nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Victoria Clark, die die Rolle der Liza Elliot aktuell in New York verkörpert, fasst das so zusammen: „I personally think there are few things as moving as watching someone come into his or her own self-worth and begin to actualize the potential within. This is at the core of LADY IN THE DARK for me“.


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